Ursachen der HWS-Instabilität

Schleudertrauma – und oft der Beginn einer Mitochondriopathie

Kuklinski, Schemionek | Schwachstelle Genick | Promito Mitochondriopathie Beratung

Ursachen der HWS-Instabilität

Schleudertrauma – und oft der Beginn einer Mitochondriopathie


Geburten

  • Kaiserschnitt
  • Extraktionsgeburten

Haushalt

  • Treppenstürze
  • Stürze von Leitern, Bäumen, Gerüsten, Anstoß bei
  • Aufrichten aus gebückter Haltung
  • Stürze vom Wickeltisch, Hocker, aus Etagenbett
  • Rumtollen, Aufschlag auf Kinn, Nacken, Kopf auf Bettkanten,
  • Gegenstände usw.
  • schwere körperlicher Arbeiten (Hausbau, Landwirtschaft,
  • „Verreißen“

Vollnarkosen (mit HWS-Überstreckung)

Plötzliche HWS-Manipulationen („Einrenken“)

Freizeit

  • Stürze vom Baum, Klettergerüst, Felsen, aus der Schaukel, aus dem Fenster, in Gruben und Schächte, vom Hausboden
  • Stürze durch Ausrutschen auf Eis, glatten Fliesen, im Freibad mit Sturz auf Steiß, Rücken, Kopf, Hinterhaupt, Kinn, Schultern, Arme, Stürze, Aufprall bei Rad-, Schlitten-, Schlittschuh-, Rollschuhfahrten gegen Wände, Bäume, Personen, Überschlag auf Pflaster
  • Kopfsprung in Untiefe und Kopfaufschlag, Kinderspiele, z. B. Loslassen beim Fliegerdrehen, Skateboarden und Stürze auf Treppen, Pflaster, Kanten
  • Bergtrecking, Down-hill-Radfahren, unerwartete Schläge auf Nacken, Kopf, straff getretener Ball gegen Kopf
  • Schläge, Tritte gegen Kopf besonders bei schon vorliegender Bewusstlosigkeit

Arbeiten

  • „Verreißen“ bei schweren Arbeiten bei Lager-, Krankenpflegearbeiten, schweres Heben mit asymmetrischen Belastungen
  • herabfallende Lasten auf Kopf, Schultern
  • Tritte, Stöße von Bulle, Pferd, Kuh, Schafbock
  • Stürze vom Traktor, Heufuder

Sport

  • Mannschafts- und Kampfsportarten wie Fuß-, Hand-, Volley-, Basket-, Wasserball, Rugby, Boxen, Ringen, Judo, Karate, Hockey
  • Reiten
  • Fallschirmspringen, Wasserspringer, Ski, Kitesurfing
  • Motorsport, -cross
  • Wintersport, Pistenabfahrten, Snowboard, Eiskunstlauf, Schanzenspringen, Eishockey
  • Geräte-, Bodenturnen, Leichtathletik, Hochsprung, Hürden-lauf, Wurf-, Stoßdisziplinen
  • Bergsteigen

Verkehr

  • angefahren werden durch Rad-, Kradfahrer, Pkw
  • Pkw-Unfälle mit den Eltern, als Bei- oder Selbstfahrer
  • Radaufprall gegen Hindernisse, offene Pkw-Tür
  • Bus-, Zugunfälle

Hohe Geschwindigkeiten, Flieh-, Schwerkraft setzen kinetische Energien auf die HWS frei. Bei Traumatisierungen werden äußere Verletzungen oder die Hirnerschütterung behandelt. Die HWS wird, falls untersucht, nach sichtbaren, aber längst überholten morphologischen Veränderungen wie Fraktur, Bandscheibenvorfälle, Einengungen des Rückenmarkes von 1973 beurteilt (1). Die dynamische Komponente, die Überbeweglichkeit infolge Bänder-, Faszien-, Muskel- und Gelenkkapselläsionen bleibt unberücksichtigt. Sie finden sich 6-fach häufiger als Knochenfrakturen (2).

Aus unseren Anamnesen ergaben sich die häufigsten HWS-Traumatisierungen im Haushalt, in der Freizeit und im Sport. Nach dem Motto „no risk, no fun“ werden Sportarten immer halsbrecherischer, waghalsiger. Es wird Kopf und Kragen riskiert. „Waghalsig“ bedeutet seinen „Hals wagen“.

HWS-Instabilitäten entstehen nicht nur als Folge eines Pkw-Auffahrunfalles (Whiplash-Syndrom). In Deutschland, Mitteleuropa und in übrigen Industrienationen wirkt eine Kaskade von HWS-Traumatisierungen ab Kindesalter auf den Menschen ein. Welche Energien auf die HWS durch ein Abkippen von der Leiter freigesetzt werden, belegt folgendes Beispiel:

75 kg schwere Person stürzt aus 2,6 m Höhe mit seiner Leiter um (bogenförmige Fallstrecke) und schlägt auf harten Boden mit dem Kopf auf. Kopfgewicht ca. 4,5 kg.

  • Um die Energie des Sturzes von 2,6 m Höhe auf den Kopf zu erreichen, muss ein Pkw mit 105 km/h gegen eine Wand fahren
  • Die auf den Querschnitt der HWS wirkende Kraft liegt bei dem Pkw-Aufprall bei 2,7 kN und beim Leitersturz bei 19,1 kN.
  • Die Verformungswege (Knautschzone) sind im Pkw größer. Die Verformungszeit liegt im Pkw bei 0,048 sec., bei Leitersturz bis 0,028 sec.

D. h., auf die HWS wirken bei einem Leitersturz aus 2,6 m Höhe 7,1-fach stärkere Kräfte in zweifach kürzerer Zeit ein. Aus der Festigkeitslehre ist bekannt, dass ein Stoff um so elastischer einer Kraft nachgibt, je langsamer diese auf die Verformung einwirkt (Hooke’scher Bereich). Je schneller sich die Stoßkraft entfaltet, desto eher verlässt der Stoff den Hooke’schen Bereich. Jeder Karateschläger, Holzfäller, Boxkämpfer nutzt diesen Effekt. Analog wirken derartige physikalische Kräfte bei Kopfsprung in eine Untiefe, Salto über den Radlenker oder Sturz vom Klettergerüst bzw. dem Etagenbett. Die obere HWS ist die sensibelste, labilste Region, letztendlich entfalten sich hier die Kräfte.

Folgen der HWS-Instabilität
Als Folgen der HWS-Überbeweglichkeit treten auf:

1.     Sympathikusaktivierungen

2.     C-Nervenfaseraktivierungen und neurogene Entzündungen

3.     Funktionsstörungen der Hirnnerven

4.     Histaminerhöhungen

5.     Schädigung von Hirn- und Hirnschrankenzellen

6.     nitrosativer Stress

ad 1) Sympathicusstress

Bewegungsabhängig kontrahieren hirnversorgende Blutgefäße und führen zu Durchblutungsminderungen von bis zu – 80 % (3). Sie betreffen Hirnstamm, dorsalen Hippocampus, Kleinhirn, Seh-, Hörzentren der Hirnrinde und das Innenohr. Folgen sind:

  • vegetative Störungen (Hirnstamm)
  • Störungen der Temperatur-, Blutdruckregulation
  • Hör- und Sehstörungen
  • Tinnitus
  • Merkfähigkeits-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen
  • hormonale Dysregulation
  • Depressionen, Psychosen
  • Stressempfindlichkeit, gesteigerte Empfindlichkeit gegen helles Licht, Zugluft und Hochtonlärm

Da der Sympathicusstrang durch die HWS führt (Grenzstrang, Ganglion), werden auch periphere Organe dem Sympathicusstress ausgesetzt. Folgen sind:

  • erhöhter Ruhepuls, Herzjagensattacken und Herzextraschläge bis hin zu Herzrhythmusstörungen
  • Ruhigstellung des Darmes
  • erhöhter Spasmus der Schließmuskeln für After und Harnblase
  • Gesichtsblässe
  • gesteigerte Strömungsgeschwindigkeit des Blutes
  • Blutdruckanstiege

Die Auswirkungen für den Stoffwechsel sind Defizite an:

  • B-Vitaminen
  • w3-Polyenfettsäuren
  • Vitamin C
  • Anstieg von Peroxidationsprodukten
  • Zink, Magnesium, Kalium

Wiederkehrende Minderdurchblutungen des Hirns führen zu Ischämien. Nach wieder einsetzender Durchblutung werden O2-Radikale freigesetzt, die den oxidativen und nitrosativen Stress verstärken (ONOO-Bildung). Diese Metabolite sind für Schädigungen von Hirn- und Nervenschrankenzellen, aber auch für die Auslösung degenerativer oder entzündlicher Hirn-, Nervenerkrankungen verantwortlich (MS, ALS, Alzheimer-Demenz, Mb. Parkinson, Hirninfarkte, Lähmungen). Peripher finden sich Raynaud-Erkrankungen, Wachstumsstörungen der Nägel, Pilzinfektionen u. a.).

Fazit:

Chronischer Sympathicusstress ist ein wichtiger Promotor chronischer Herzkreislauferkrankungen.

ad 2) Neurogene Entzündungen

Ruhende markscheidenlose C-Nervenfasern werden aktiviert und lösen eine verstärkte Schmerzempfindung, aber auch periphere aseptische Entzündungen aus. An den Nervenenden werden peripher Entzündungseiweiße freigesetzt. Schmerzhemmungszentren im Hirn verlieren an Wirkung (6, 7). Folgen sind Arthrosen wie Heberden-, Bouchardarthrosen der Finger, Schultergelenksarthrosen, springende Schmerzen und Schwellungen der Gelenke, besonders am Morgen mit Gelenksteife, Lumbalgien, Hüft-, Knie- und Fußgelenkschmerzen.

60 % der Hautnerven bestehen aus C-Nervenfasern. Werden sie gereizt, bilden sich Akne, Pusteln, Ekzeme, Rosacea, Psoriasis. Nach massiven HWS-Traumen können symmetrische Ekzeme an beiden Armen, Händen und Fingernagelverlust auftreten.

ad 3) Hirnnervensymptome

betreffen fast alle Hirnnerven I bis XII. Im Vordergrund steht der Trigeminus (5. Hirnnerv), da er ein langes Einzugsgebiet in der HWS aufweist. Kopfschmerzen, Migräne, projizierte Entzündungen in Kieferhöhlen, Zahnwurzeln, aber auch der Arterien (Arteriitis) können die Folgen sein.

Viele Hirnnerven sind in Ganglien miteinander vernetzt, so dass viele Symptome gleichzeitig auftreten können, z. B. Visusstörungen mit Übelkeit und Schwindel (Arteria-basilaris-Symptome!).

Augen

  • Schleier-, Verschwommensehen, ringförmige Gesichtsfeldausfälle
  • Gesichtsfeldausfälle
  • Schwindel bei Augenbewegungen
  • Augenschmerz bei konzentriertem Lesen, Unverträglichkeit gegen grelles Licht
  • Zeilenlesen erschwert
  • Trockenheit der Bindehäute
  • Doppeltsehen, -konturen
  • Dämmerungssehen erschwert
  • Mouches volantes

Spätfolgen sind Schädigungen des Nervus opticus, der Retina, Glaukom, frühes Katarakt, frühe Brillenpflichtigkeit.

Nase

  • behinderte Nasenatmung, besonders nachts, Neigung zu Nasennebenhöhlenentzündungen und Polypen
  • Fliesschnupfen, Nasenbluten
  • Geruchseinschränkung, Trockenheit der Schleimhaut

Ohren

  • erschwertes Hören bei Hintergrundsgeräuschen, Schwerhörigkeit
  • einschießende Schmerzen in das Innenohr
  • Jucken, Ekzeme, Entzündung der Gehörgänge
  • Lärmüberempfindlichkeit
  • Tinnitus, Hörstürze

Mundhöhle/Rachen

  • Rachen-, Zahnfleischentzündungen
  • erschwerte Zungenartikulation
  • Geschmacksverlust, -irritationen
  • Rachenschmerzen
  • gesteigerte Empfindlichkeit der Mundschleimhaut
  • Bissverletzungen beim Kauen
  • Schluckstörungen bis hin zu Passagestops und Spasmus der Speiseröhre

Kehlkopf

  • kratzig-heisere, belegte Stimme (besonders am Morgen)
  • Stimmversagen bei längerem Reden/Singen

Kauapparat

  • Schmerzen der Kaugelenke, -muskulatur, asymmetrische Mundöffnung
  • Zahnfehlstellungen
  • projizierte Entzündungen in die Zahnwurzeln und das Zahnfleisch
  • Parodontose

Nacken, Schulter

  • durch Schief-, Schräglagen des Kopfes, z. B. bei Rückenlage
    – Durchschlafstörung
    – unruhiger Schlaf, Abl-, Angstträume
    – Attacken mit Herzrasen, Schweißausbruch, Blutdruckanstieg, Herzstolpern
  • morgendliche Nackenschmerzen, Benommenheit mit langer Anlaufszeit, Inappetenz zum Frühstück
  • morgendliche LWS-Schmerzen

Vagusreizungen (Aktivierung, Hemmung)

Sie äußern sich in nächtlichen asthmoiden Zuständen, Harndrangsattacken, Bradykardien, Tachykardien, Neigung zu Durchfällen.

ad 4) Histaminsteigerungen

Bei ca. 50 % der HWS-Instabilitäten entwickelt sich eine Histadelie (Histamin-erhöhung), erkennbar an pathologisch hohen Werten an freiem Histamin (4). Psychostress, körperliche Belastungen und intolerable Chemikaliengerüche steigern rasch die Histaminkonzentrationen.

Die Auswirkungen der Histadelie sind:

  • Als Nervenbotenstoff aktiviert es die Hirnaktivität und die Gedächtnisleistung. Je 50 % des Histamins im Hirn sind im dorsalen Hypothalamus und in den Mastzellen lokalisiert. Histadelie führt zu Unruhe, Reizbarkeit, Impulsivität, Aggressivität.
  • Öffnung der Bluthirnschranke
  • Steigerung der NO-Synthese
  • Aktivierung der neurogenen Entzündung, da Mastzellen netzartig von C-Nervenfasern umgeben sind. Deren Reizung löst eine gesteigerte Gefäßdurchlässigkeit mit Extravasation (Ödembildung) aus.
  • Spasmen der glatten Muskulatur der Bronchial- und Darmtrakte. Darmkoliken.
  • Herzjagensattacken
  • Überempfindlichkeit gegen Insektenstiche, histamin-, aminreiche Nahrungsmittel und Getränke
  • Aktivierung des Th1- zu Th2-Shiftes mit verstärkter IgE-Bildung
  • Urticaria (Nesselsucht) durch chemische, physikalische oder psychische Stressoren
  • zerebrale Übererregung, gesteigerte Reizbarkeit
  • gesteigerte Gastrinbildung und MAgensalzsäurebildung
ad 5) Hirnschrankenzellschädigungen

Schon leichtere Schädeltraumen können Anstiege des S-100-Hirnschrankenproteins auslösen. Sie signalisieren bleibende kognitive Defizite (5). Sie korrelieren mit verstärkten NO-Bildungsraten. Schwerere Hirntraumen zeigen einen zweigipfligen NO-Verlauf. Nach einem Abfall steigt NO ab ca. 6. Tag erneut an.

Auch die S-100-Werte steigen rasch bei HWS-Geschädigten leicht an. Vertikale Erschütterungen (Gehen auf hartem Trottoir, Pkw-Fahren), Lasten tragen, Drehbewegungen im HWS-Bereich, aber auch Xenobiotikaexpositionen lösen schnell S-100-Anstiege aus. Sie spiegeln hirnorganische Schäden wider. Bei chronischer S-100-Erhöhung können sich S-100-Autoantikörper ausbilden und Neuronenschäden entstehen. Letztere zeigen sich in einem Anstieg der neuronenspezifischen Enolase (NSE).

Am gravierendsten ist die Auslösung eines chronisch nitrosativen Stresses.

Literatur

1.     Erdmann, H. (Hrsg.) 1973: Die Schleuderverletzung der Halswirbelsäule. Hippokrates-Verlag Stuttgart

2.     Saternus, K. S.: Zur Mechanik des Schleudertraumas der Halswirbelsäule. Z. Rechtsmedizin 88 (1982) 1–11

3.     Betz, E.: Physiologie und Pathophysiologie der Gehirndurchblutung. In: Diethelm, L. et al. (Hrsg.): Handbuch der medizinischen Radiologie. Springer-Verl. 1981

4.     Kuklinski, B.: Substanz P, neurogene Entzündung und Xenobiotika-Susceptibilität. Umwelt Med. Gesellsch. 3 (2003) 196–200

5.     Waterloo, K., T. Ingebrigtsen, B. Remner: Neuropsychological function in patients with increased serum levels of protein S 100 after minor head injury. Acta. Neurochir. 139 (1997) 26–31

6.     Keidel, M., P. Rieschke, P. Stude et al.: Antinociceptive reflex alteration in acute posttraumatic head following whiplash injury. Pain, 92 (2001) 329–326

7.     Ikeda, H., Heinke, B., Ruscheweyh, R., Sandkühler, J.: Synaptic plasticity in spinal lamina I projection neurons that mediate hyperalgesia. Science 299 (2003) 1237–1240